Unbequeme Wahrheiten
Wahrscheinlich hast du dich für dieses Webinar entschieden, weil du bisher keinen nachhaltigen und wirkungsvollen Ansatz gefunden hast, deine Schmerzen in den Griff zu bekommen. Wie bereits angedeutet, hilft der klassische Gang zum Arzt und Physiotherapeuten selten. Auch die häufig unterkomplexen und teilweise schlicht falschen Versprechen auf Instagram wie "The Single best exercise for Jumpers Knee you're not doing!" sollen primär Klicks generieren und bieten selten einen wirklichen therapeutischen Mehrwert.
Mein Ziel ist es, dass du nach der Reha wieder befreit trainieren und deinen Sport ausüben kannst. Dazu gehört aber auch, dass ich einige unbequeme Wahrheiten offen ansprechen muss. Nur so werden typische Fehler (die ich auch selbst gemacht habe) vermieden und du bekommst eine realistische Erwartung an den Rehabilitationsverlauf.

Folgende unbequeme Wahrheiten werden im folgenden thematisiert:

  1. Ego vs. Vernunft
  2. Pause wird nicht helfen - im Gegenteil
  3. Die Reha wird länger dauern als du denkst
  4. Eine Patellatendinopathie "heilt" nicht
1. Ego vs. Vernunft
Die meisten Athleten, die sich mit ihren Kniebeschwerden an mich wenden, haben einen längeren Leidensweg hinter sich. Oftmals sind es Unwissenheit oder das eigene Ego, welche einem vernünftigen Umgang mit einer Patellatendinopathie im Weg stehen. Unwissenheit  oder aber eine Überforderung mit der Menge an widersprüchlichen Informationen sind nachvollziehbar. Auch ein ausgeprägtes sportliches Ego ist normal, kann aber im Kontext eines Rehaprozesses jedoch hinderlich sein. 
Es gibt unzählige Gründe, warum auch unter Schmerzen weiter trainiert/gespielt wird: Man will seine Gainz nicht verlieren oder nicht pausieren, weil man sonst seinen Kaderplatz oder Spielzeit einbüßt. Vielleicht steht auch ein wichtiger Wettkampf an, auf den man sich vorbereiten muss. Die Tendinopathie wird sich aber immer weiter verschleppen und der Überlastungsschaden schlimmer werden. Ich kenne einige Sportler, die sogar mit ihrem (Leistungs-)Sport aufhören mussten, weil sie das Problem auf diese Weise nicht in den Griff bekommen haben! Die Argumente für ein Training trotz Schmerzen sind also zu kurzfristig gedacht. Wirklich wichtig ist es dagegen, sich dem Problem vernünftig und nachhaltig anzunehmen, um nach der Reha wieder belastbar und schmerzfrei zurück zu kommen! 
Deshalb kann ich gar nicht eindringlich genug darauf hinweisen, dass die Physiologie bzw. Biologie keine Rücksicht auf deine Wünsche und Träume (Ego) nehmen wird. Sehnengewebe reagiert extrem langsam, das Ego ist aber extrem ungeduldig. Ich schreibe das nicht, um dir zu zeigen, wie unvernünftig es war weiter zu trainieren, sondern wie wichtig es ist, in Zukunft verantwortungsvoll mit dem Problem umzugehen!
Also häng in deinem eigenen Interesse dein Ego an den Nagel. Sei misstrauisch, wenn Ungeduld oder Euphorie nach den ersten Erfolgen in dir aufkommen! Nur weil die Schmerzen weniger werden, heißt das nicht, dass die Strukturen wieder voll belastbar sind! Das sind sie erst mit dem Abschluss des Rehaprozesses! Alles was ich schreibe, von diesen Sätzen bis zur sekundengenauen Tempoangabe der Übungsausführung in Phase 4, hat einen ganz bestimmten Grund und ist wissenschaftlich begründet oder aus meiner langjährigen Erfahrung abgeleitet. Wenn du dich an die Vorgaben hälst und systematisch trainierst, wirst du den Teufelskreis aus Überlastung und Schmerzen durchbrechen. Die Reha sollte für die kommenden Monate dein Sport sein. Sorry, aber das ist die unbequeme Wahrheit.

Message: Come back stronger!
Pause wird nicht helfen - im Gegenteil
Ein Ansatz klassischer Therapieverfahren/Empfehlungen ist es Pause zu machen. Ich hatte einen Athleten betreut, dem es empfohlen wurde, 6 Wochen lang jegliche(!) Belastung vermeiden. Und ich spreche hier nicht nur von einer Trainingspause, sondern von Aufzug statt Treppe usw. Die Schmerzen gingen vorerst zurück, traten aber nach der Wiederaufnahme des Trainings verstärkt auf. Zum Verzweifeln...
Der Ansatz, biologischen Strukturen Zeit und Ruhe zur Heilung einzuräumen, erscheint intuitiv richtig. Eine Wunde heilt unter einem Pflaster, ein Knochenbruch durch Ruhigstellung im Gips. Bei Sehnengewebe entspricht dies aber leider nicht der physiologischen Realität. Die Grafik rechts [1] zeigt die Abnahme bestimmter biologischer Strukturen und ihrer Eigenschaften während einer 24-tägigen Imobilisation. Es fällt auf, dass die Muskelmasse (Muscle ACSA) und das Drehmoment (Torque -> die Kraft, die im Gelenk generiert werden kann) sehr gleichmäßig abfallen. Im Gegensatz dazu nimmt die Sehnensteifigkeit (Tendon Stiffness) und das Young's Modulus, ein Indikator für die Materialeigenschaften der Sehne, nach 14 Tagen überproportional stark ab! Das heißt im Klartext:  Sehnengewebe nimmt relativ gesehen deutlich stärker ab als die Muskelmasse und die Muskelkraft. Pausieren führt also zum genauen Gegenteil des gewünschten Effekts. Man verspricht sich ein Ausheilen der Strukturen, erreicht aber eine Abnahme der Belastbarkeit. Dies liegt vor allem daran, dass Sehnengewebe relativ hohe Zugkräfte benötigt, um sich positiv anzupassen. Bleiben diese aus, baut sich Sehnengewebe (wie auch Knochengewebe) ab (siehe Grafik rechts unten [2]: "Maladaptation due to Understimulation"/Pause).
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Damit aber noch nicht genug. Die Frage drängt sich auf, was passiert, wenn das Gewebe nach einer Pause wieder belastet wird. Aufgrund der stärkeren relativen Abnahme der Steifigkeit und der Materialeigenschaften (Young's Modulus) der Sehne, kommt es zu einer stärker ausgeprägten Dysbalance zwischen Muskelkraft (Torque) und Sehnenbelastbarkeit. Man kann also davon ausgehen, dass bereits nach 2 Wochen vollständiger Imobilisation die Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche Sehnenrehabilitation schlechter sind!
Noch ungünstiger wird die Situation, wenn im anschließenden Rehaprozess die physiologischen Anpassungszeiträume des Sehnengewebes missachtet werden und nur die Zunahme der Muskelkraft im Fokus steht. Letzteres ist deutlich einfacher und schneller zu erreichen als der Aufbau von Sehnengewebe und die Verbesserung seiner funktionalen Eigenschaften! In diesem Fall kommt es zu einer sogenannten "Maladaptation" aufgrund eines zu großen Overload (siehe Grafik rechts: "Maladaptation due to overstimulation"/Überlastung). 

Message: Eine erfolgreiche Sehnenrehabilitation erfordert ein gutes Belastungsmanagement (siehe Grafik rechts: grüner Bereich/Adaptation), welches sowohl eine Unterstimulation (Pause) als auch Überlastung (Overstimulation) vermeidet!
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Die Reha wird länger dauern als du denkst
Die dritte unbequeme Wahrheit habe ich eben schon angedeutet: Die Dauer der Reha ist vermutlich länger als du denkst. Ich kann keine zeitliche Prognose abgeben, da der Rehaverlauf von vielen individuellen Faktoren wie Zustand der Sehne, problematische Kofaktoren, zusätzliche Belastungen im Alltag, Ernährung, Schlaf usw. abhängt. Deshalb gilt im gesamten Rehaverlauf "der Weg ist das Ziel"! Die Grafik links [3] zeigt den zeitlichen Verlauf der Gewebereperatur nach Sehnenverletzungen. Wie du siehst, spielt sich der Prozess in Monaten und nicht Tagen oder Wochen ab.
Sehnengewebe wird schlechter mit Nährstoffen versorgt als bspw. die Muskulatur. Die Kollagensynthese (Aufbau von Kollagen im Sehnengewebe) läuft wesentlich langsamer ab als die Proteinsynthese (Aufbau von Muskelgewebe). Durch diesen Vergleich bekommst du hoffentlich eine realistische Vorstellung davon, in welchen Zeiträumen du denken musst, bis neues Sehnengewebe aufgebaut wurde.

In der Regel dauert eine vollständige Reha einer Patellatendionopathie mindestens 3 Monate! Die genaue Dauer deines Rehaprozesses hängt in erster Linie von deiner Disziplin während der Reha und deinem sportlichen Ziel ab. Ein Powerlifter erreicht seine sportspezifische Belastbarkeit in der Regel früher als ein Basketballspieler. Dies liegt an den höheren Belastungen des Sehnengewebes bei Sprüngen, Sprints und Richtungswechseln als bei einer 1er Maximum Kniebeuge.
Ich habe aber auch Athleten betreut, die über ein Jahr brauchten, bis sie wieder belastbar waren. Zugegebenermaßen waren das seltene Härtefälle, aber ich will realistische Erwartungen und keine leeren Versprechen geben.
Message: Stell dich auf einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten Reha ein, bis du wieder belastbar sein wirst. Es gibt keine feste Prognose und je dynamischer dein Sport ist, desto mehr Zeit benötigst du für den (Wieder-)Aufbau der Belastungstoleranz.
Eine Patellatendinopathie heilt nicht 
Fast alle Athleten, die ich persönlich betreut habe, konnten wieder komplett oder nahezu schmerzfrei in ihren Sport zurück kehren. Ein kritischer Punkt ist allerdings der Zustand der Sehne. Ich habe Anfragen von Leistungssportlern, die seit Jahren mit einer Patellatendinopathie ihren Sport ausüben. Höchstwahrscheinlich ist die Patellatendinopathie in diesen Fällen bereits weit fortgeschritten.

Docking und Cook (2016) [4] konnten zeigen, dass weit fortgeschrittene Tendinopathien mit degenerierten/nekrotischen Sehnenanteilen mehr normales Sehnengewebe aufweisen, als gesunde Sehnen. Der degenerierte Bereich einer Sehne wurde anscheinend nicht erneuert bzw. regeneriert. ABER (und das ist die gute Nachricht) neu aufgebautes, gesundes Sehnengewebe hat diesen Verlust offenbar kompensiert.


Auf dem Bild rechts [5] ist oben rechts eine normale Sehne und unten links eine pathologische Sehne im Ultraschall abgebildet. Es fällt auf, dass der absolute Anteil an gesundem Sehnengewebe (mCSA of good strucutre (mm2)) in der pathologischen Sehne deutlich höher ausfällt, als in der gesunden Sehne. Und zwar um ungefähr den Betrag, den der pathologische Anteil (mCSA of poor structure (mm2)) ausmacht. 


Daher prägte Jill Cook den Satz "Treat the Donut not the hole!“: Das noch vorhandene, gesunde Sehnengewebe (der Donut) muss also auftrainiert werden, um den krankhaften, degenerierten Anteil (das Loch im Donut) zu kompensieren.

Es gibt also auch bei fortgeschrittener Patellatendinopathie berechtigten Grund zur Hoffnung, dass die Funktionalität der Sehne wieder hergestellt werden kann. Eine Langzeituntersuchung von 2004 konnte aber auch zeigen, dass im Mittel 4 Jahre nach einer Trainingsintervention eine Normalisierung der Sehnenstruktur und ein Rückgang der Sehnendicke nachweisbar waren.


Message: Eine verletzte Sehne heilt wahrscheinlich nicht vollständig aus, und wenn nur sehr langsam. Du kannst dich also  darauf einstellen dich für den gesamten Verlauf deiner Sportkarriere um deine Sehne  kümmern zu müssen (Im Bild oben drüber entspricht dies der Phase "Remodelling (Maturation)". Glücklicherweise ist das nach einer erfolgreichen Reha allerdings relativ einfach möglich!
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Quellen und Bildernachweise

[1] de Boer MD, Maganaris CN, Seynnes OR, Rennie MJ, Narici MV. Time course of muscular, neural and tendinous adaptations to 23 day unilateral lower-limb suspension in young men. J Physiol. 2007 Sep 15;583(Pt 3):1079-91. doi: 10.1113/jphysiol.2007.135392. Epub 2007 Jul 26. PMID: 17656438; PMCID: PMC2277190.
[2] Docking SI, Cook J. How do tendons adapt? Going beyond tissue responses to understand positive adaptation and pathology development: A narrative review. J Musculoskelet Neuronal Interact. 2019 Sep 1;19(3):300-310. PMID: 31475937; PMCID: PMC6737558.
[3] Docheva D, Müller SA, Majewski M, Evans CH. Biologics for tendon repair. Adv Drug Deliv Rev. 2015 Apr;84:222-39. doi: 10.1016/j.addr.2014.11.015. Epub 2014 Nov 21. PMID: 25446135; PMCID: PMC4519231.
[4] Docking SI, Cook J. Pathological tendons maintain sufficient aligned fibrillar structure on ultrasound tissue characterization (UTC). Scand J Med Sci Sports. 2016 Jun;26(6):675-83. doi: 10.1111/sms.12491. Epub 2015 Jun 9. PMID: 26059532.
[5] 
https://www.youtube.com/watch?v=-kKzoi8Zrik