Lerntheorie - Lernen
Lerntheorie: Lernen
Wie bereits im vorherigen Kapitel angesprochen, lernen Pferde durch Konsequenzen. Dies nennt man instrumentelle oder operante Konditionierung.
Operante Konditionierung

Begriffsdefinitionen

In der Lerntheorie werden bestimme Terminologien verwendet, die wir uns genauer ansehen wollen.

In meinen Augen ist es sehr wichtig, dass einem die Begriffe klar sind, damit man sich selbst reflektieren und mit anderen Menschen darüber sprechen kann.

Wichtig ist, dass die Begriffe neutral gemeint sind und du dir bewusst bist, dass z.B. “negativ” im Zusammenhang mit der Lerntheorie nicht “schlecht” bedeutet und dass z.B. “Strafe” nicht gleich “Schlagen” heißt.

Die Begriffe sind neutral/wertfrei gemeint und beschreiben nur gewissen Sachverhalte.

Verstärkung und Strafe

Verstärkung bedeutet, dass ein Verhalten in Zukunft öfter auftritt.
Strafe bedeutet, dass ein Verhalten in Zukunft seltener auftritt.

Wir können deswegen eigentlich erst sicher sagen, welche Form der operanten Konditionierung wir verwendet haben (Vergangenheit), wenn wir feststellen können, ob das Verhalten jetzt vermehrt oder weniger auftritt.

Positiv und negativ

Positiv bedeutet im Kontext der operanten Konditionierung, dass etwas hinzugefügt wird. Manchmal wäre es mir lieber, man würde von “additiver” Verstärkung/Strafe sprechen.

Positive Verstärkung
Es wird etwas hinzugefügt, wodurch das Verhalten in Zukunft öfter auftritt.
Positive Strafe
Es wird etwas hinzugefügt, wodurch das Verhalten in Zukunft weniger oft auftritt.


Negativ hingegen bedeutet, dass etwas weggenommen, also subtrahiert wird. “Subtraktive” Verstärkung/Strafe sozusagen.

Negative Verstärkung
Es wird etwas weggenommen, wodurch das Verhalten in Zukunft öfter auftritt.
Negative Strafe
Es wird etwas weggenommen, wodurch das Verhalten in Zukunft weniger oft auftritt.


Appetetiv und aversiv

In der Lerntheorie werden für angenehm und unangenehm die Begriffe appetetiv und aversiv verwendet. So wird positiv und negativ nochmal mehr zu additiv und subtraktiv, während angenehm und unangenehm als appetetiv und aversiv bezeichnet werden.

Appetetiv ist angenehm. Das kannst du dir merken, weil du Appetit auf etwas Leckeres (Angenehmes) hast, während du Aversionen gegen einen unfreundlichen (unangenehmen) Menschen hast.

AppetetivAversiv

Die Quadranten der operanten Konditionierung


1. Wir fügen etwas hinzu, damit ein Verhalten in Zukunft öfter auftritt.

Positive Verstärkung

Wir fügen also nach dem Verhalten etwas Angenehmes (z.B. Kraulen, Futter) hinzu und das Pferd wird das Verhalten in Zukunft öfter zeigen wollen.

Ein Beispiel aus der Welt der Menschen:
Die Frau kommt nach hause und der Mann hat gerade den Geschirrspüler ausgeräumt, während  das Essen schon auf dem Tisch steht. Die Frau küsst ihren Mann und sagt ihm, wie sehr sie ihn und, dass was er gemacht hat, schätzt.
Für Menschen sind soziale Verstärker wie Anerkennung und Zuneigung sehr starke Motivatoren.
Wenn der Mann in Zukunft öfter im Haushalt hilft und kocht, können wir uns sicher sein, dass die positive Verstärkung durch Küssen und Wertschätzung “funktioniert hat”.
Oft “wenden” wir Menschen eine Form der operanten Konditionierung an, ohne uns darüber bewusst zu sein. Sowohl im Umgang mit anderen Menschen, als auch im Pferdetraining. D.h. wir müssen uns nicht immer vorher ganz genau überlegen, welchen Quadranten wir nutzen wollen, um ein gewisses Ergebnis zu erzielen. Sondern die Lerntheorie ist deswegen so wichtig, weil wir im Nachhinein analysieren können, was eigentlich passiert ist und warum sich unser Pferd so verhält, wie es sich verhält.

2. Wir nehmen etwas weg, damit ein Verhalten in Zukunft öfter auftritt.

Negative Verstärkung

Wir nehmen also etwas Unangenehmes (Druck) weg und das Pferd weiß in dem Moment des Nachlassens, dass dies das Verhalten war, dass es in Zukunft öfter zeigen soll. Je eher es auf den leichten Druck reagiert, desto weniger muss der Druck gesteigert werden.

Aber auch wir Menschen wenden (bewusst oder unbewusst) negative Verstärkung an:
Der Sohn sitzt auf der Couch und spielt Videospiele. Die Mutter fängt an zu schimpfen und zu nörgeln, dass er endlich sein Zimmer aufräumen soll.
Irgendwann reicht es dem Sohn, er geht in sein Zimmer und fängt an aufzuräumen, das Nörgeln hört endlich auf.
Am nächsten Wochenende muss die Mutter schon gar nicht mehr viel Schimpfen, bevor der Sohn in sein Zimmer geht. Und bald wird er öfter aufräumen, damit seine Mutter gar nicht erst anfängt zu Nörgeln.

3. Wir fügen etwas hinzu, damit ein Verhalten in Zukunft seltener auftritt.

Positive Strafe

Positive Strafe bedeutet, dass etwas Unangenehmes hinzugefügt wird (Schimpfen, Klaps, Ruck am Strick), damit ein Verhalten in Zukunft seltener auftritt.

Ein passendes Beispiel sind Verweise in der Schule.

4. Wir nehmen etwas weg, damit ein Verhalten in Zukunft seltener auftritt.

Negative Strafe

Negative Strafe bedeutet, dass etwas Angenehmes weggenommen wird (Kraulen, Leckerlis), damit ein Verhalten in Zukunft seltener auftritt.

Ein Beispiel aus unserer Familie:
Die Mutter möchte, dass der Sohn weniger auf der Couch faulenzt und nimmt ihm seine Videospiele weg.

Überlegungen

Man sieht an diesen Beispielen hoffentlich schon, dass die Theorie zwar sehr einfach gestrickt ist, in der Realtität aber viele Faktoren zu betrachten sind.

? Was sind individuelle aversive und appetetive Reize?
Was ein Pferd als aversiv betrachtet, kann für das andere Pferd neutral sein. Was in einer Situation aversiv ist, ist in einer anderen vielleicht sogar appetetiv.
Ein Pferd findet den Anblick der Gerte schon ganz furchtbar und es weicht ihr. Ein anderes Pferd bleibt stoisch stehen, während sein Reiter mit der Gerte auf die Kruppe schlägt.
In einer furchteinflößenden, stressigen Situation empfindet das Pferd es als unangenehm, wenn sein Besitzer es anschreit. Wenn es aber am Putzplatz steht und vor Langeweile scharrt und tänzelt, empfindet es das Anschreien vielleicht sogar als “angenehm”, weil es endlich die Aufmerksamkeit seines Besitzers auf sich gezogen hat.

? Welche Emotionen sind im Spiel?
Was empfindet das Pferd im Moment der
  • negativen Verstärkung? Wenn der Druck nachlässt?
  • positiven Verstärkung? Was empfindet es zuvor, was im Moment des Lobs? Im Sinne der klassischen Konditionierung – wie empfindet es Menschen bzw. den Trainer im Allgemeinen?
  • negativen Strafe? Versteht es, dass und wofür es gestraft wird?
  • positiven Strafe? Wie empfindet das Pferd den aversiven Reiz? Im Sinne der klassischen Konditionierung – wie empfindet es Menschen bzw. den Trainer im Allgemeinen?
? Ist der angewandte Quadrant überhaupt der Richtige?
Hier denke ich vor allem an die positive und negative Strafe. Nur, weil der Lernende jetzt vielleicht weiss, welches Verhalten nicht erwünscht ist, weiss er noch lange nicht, welches Verhalten gewünscht ist. Vielleicht wäre es besser mittels Verstärkung ein alternatives Verhalten interessant zu machen, statt einfach nur das unerwünschte Verhalten zu strafen.