Warum Menschen lügen
Menschen lügen aus den unterschiedlichsten Gründen und Motiven. Warum sich Menschen in einer Partnerschaft nicht die Wahrheit sagen, weicht davon kaum ab. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, sagt der Volksmund. Weshalb lügen Menschen? Warum lügen wir sogar in unserer Partnerschaft, obwohl wir wissen, dass das Vertrauen daran zerbricht?

Angelogen zu werden, ist zwar unangenehm, doch kaum zu vermeiden. Wenn wir immer ehrlich wären, würden wir heftig gegen die guten Sitten, die Höflichkeit und soziale Umgangsnormen verstoßen. Stell dir vor, du kochst deinem Mann / deiner Frau morgens Kaffee. Statt einem „Guten Morgen“ würde er/sie sagen, „sprich mich bloß nicht an“. Den Kaffee nimmt er und spuckt ihn anschließend aus. Er schmeckt ihm nicht. Die Zeichnung eurer 4-jährigen Tochter bezeichnet er als Gekritzel und der Nachbarin wünscht er zähnebleckend alles erdenklich Schlechte. Wollen wir das? Gemeinschaft funktioniert nur, wenn wir alle einigermaßen nett zueinander sind. Doch wo ist die Grenze zwischen gesellschaftlich erwarteten friedhöflichen (friedlichen und höflichen) Unwahrheiten und einer handfesten Lüge?

In verschiedenen Religionen gilt: Lügen ist schlecht. Doch gleichzeitig werden auch Ausnahmen erörtert. Ebenso gehen die verschiedenen Kulturen uneinheitlich mit dem Thema Lügen um. Soziale Lügen, die dem Anderen den Tag schöner machen, werden oft sogar erwartet.

Betrachten wir das „Warum“ hinter Lügen. Es gibt völlig unterschiedliche Motive, warum gelogen wird. Und nicht jede Unwahrheit ist gleichzeitig eine Lüge.

Unterschiedliche Wahrnehmungen

Es gibt Phänomene, die sich richtig anfühlen, aber falsch sind. Dazu zählt zum Beispiel unser Zeitempfinden. Manchmal, besonders dann, wenn wir etwas Schönes machen, vergeht die Zeit wie im Fluge. Andererseits kann sich die Dauer einer besonders unangenehmen Sache sehr lang anfühlen. So sind realistische Aussagen über zeitliche Aspekte ohne Uhr kaum treffend zu machen.
Auch das Temperaturempfinden ist subjektiv und kaum allgemeingültig ohne objektive Messinstrumente. Ob ein Buch, Film oder Theaterstück gut, spannend, interessant ist, kann kaum allgemeingültig wahr sein. Eine Landschaft kann für den einen schön, für andere langweilig sein. Unterschiedliche Wahrnehmungen sind keine Lügen, obwohl sie nicht für alle wahr sind.

Irrtum

Ist ein Irrtum auch eine Lüge? Obwohl ein Irrtum nicht wahr ist, wird dabei nicht gelogen. Du kannst bestimmte Erfahrungen im Leben machen und dabei zu Schlüssen kommen, die nicht richtig sein müssen. Dennoch empfindest du es als Wirklichkeit.
Wer sich im Datum seines Hochzeittages irrt, lügt nicht automatisch. Etwas zu vergessen, zu verwechseln oder sich zu irren, ist menschlich und noch keine Lüge.
Zwischen einem Irrtum und einer Lüge zu unterscheiden, ist oft eine Gratwanderung.

Halbwahrheiten

In Partnerschaften wird manchmal zwar die Wahrheit gesagt, doch werden unangenehme Details beschönigt oder ausgelassen. Wenn sich jemand auf den Urlaub freut, kann das wahr sein. Gleichzeitig kann das aber auch eine Halbwahrheit sein, wenn finanziell oder wegen des Arbeitspensums ein Urlaub Stress bedeutet. Ist das dann eine Lüge? Auf jeden Fall nicht die ganze Wahrheit. Diese hieße, ich freue mich auf den Urlaub und habe gleichzeitig Stress deswegen.
Auch Doppelwahrheiten sind vielleicht keine aktiven Lügen, sondern das Auseinanderhalten von verschiedenen Lebenswahrheiten. Eine Jugendliche mit Migrationshintergrund trägt vielleicht im Beisein ihrer Familie außer Haus ihr Kopftuch, unter Gleichaltrigen jedoch nicht. Sie gehört beiden Welten an, auch wenn das selten auf Verständnis stoßen mag. Doppelwahrheiten gehen meist mit Verstößen gegen Regeln, Werten und Normen einher, die man für sich selbst unpassend empfindet.
Ausreden sind oft auch nicht ganz gelogen, jedoch auch nicht ganz wahr.

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Warum lügen: Motive

In Partnerschaften sind Lüge und Wahrheit von zentraler Bedeutung. Wir wissen, wie verletzend und zerstörerisch es wirkt, wenn wir von unserem Liebsten belogen werden. Andererseits kennen wir alle die innere Qual, aus der Notlügen entspringen können.

Sich einen Vorteil verschaffen / Anerkennung und Bewunderung / eine positive Bestärkung erhalten

Deutscher Rechtsprechung zufolge es erlaubt, bei bestimmten Auskünften in einem Bewerbungsgespräch die Unwahrheit zu sagen, um seine Persönlichkeitsrechte oder Konkurrenzvorteile um eine Stelle zu wahren. Auf die Frage nach dem Bestehen eines Kinderwunsches wird, falls er besteht, sogar empfohlen zu lügen.
Nicht nur bei Bewerbungen werden Lügen beinahe erwartet, sondern auch in verschiedenen anderen Kontexten. Welcher Verkäufer preist die Schwachstellen seines Produktes an? Welcher Liebhaber erzählt seiner Zukünftigen, dass er täglich mehrmals seine Mutter um Rat fragt? Wir wollen alle etwas Bestimmtes erreichen und schönen oft die Dinge, die uns dabei im Weg stehen könnten. Auch in bestehenden Partnerschaften wollen wir gut dastehen, bewundert werden und uns von unserer besten Seite darstellen.

Macht: Andere bewusst schädigen

Man muss nicht darüber philosophieren, ob eine Lüge auch dann noch eine Lüge ist, wenn sie aus dem Mund eines Präsidenten kommt. Täuschung und Einschüchterung sind Mittel, die eigene Macht zu stärken.
Seinen gewalttätigen Beziehungs-Partner als Macht-Lügner zu identifizieren, hieße sich erneut den Unterwerfungstaktiken des Anderen auszusetzen. Nicht umsonst funktionieren deshalb Gewaltspiralen. Unterdrückung und Unterwerfung des Opfers werden oft nach außen verschleiert – auch vom Opfer. Dadurch wird die Würde des Betroffenen durch die eigene Lüge weiter verletzt. Bei der Aufarbeitung von Lügen aus Machtgelüsten geht es häufig um das Aufrichten, das Würde-zurück-Erlangen und um den Weg aus der Unterwerfung heraus.

Angst vor Strafe oder Peinlichkeit

Hier sind wohl die Notlügen angesiedelt. Manchmal machen wir Dinge, zu denen wir hinterher nicht mehr stehen, weil wir genau wissen, dass sie Ärger nach sich ziehen. Den wollen wir vermeiden. Niemand hat schließlich Lust auf Schelte, Gemecker, Strafen oder Bloßgestelltwerden. Soziale Verträglichkeit geht demnach vor Wahrheit. Notlügen werden meist, wie der Name schon beschreibt, aus einer großen inneren Konfliktsituation heraus geäußert.
Doch nicht immer ist die Not groß. Notlügen verschleiern auch, dass man etwas vergessen oder übergangen hat. In der Paartherapie sagte eine Frau, deren Mann zum Beginn der Sitzung nicht da war, dass er noch im Stau stehe, eben angerufen hätte. Doch zuvor hatte mich der Mann schon kontaktiert und mir gesagt, dass er den Termin vergessen hätte, aber nicht wolle, dass seine Frau das erfahren würde. Sie würde dann denken, dass ihm die Ehe egal wäre und eine große Sache daraus machen. Aus seiner Sicht war das eine Notsituation gegenüber seiner Frau.
Welche Schattierung auch immer eine Notlüge generiert, Angst und Scham spielen mit Sicherheit als Ursache eine Rolle.

Das Gegenüber schützen

Angenommen, dein Freund fragt dich, ob du den neuen Kollegen attraktiv findest und ob er attraktiver als er selbst wäre. Wahrheitsgemäß findest du den Kollegen nicht nur sehr attraktiv, sondern weit mehr als deinen Freund. Wäre eine ehrliche Antwort wahrscheinlich? Wenn du beide Fragen mit Ja beantworten würdest, wäre damit weder deinem Freund noch deiner Partnerschaft etwas Gutes getan. Aus diesem Grund wird oft nicht die Wahrheit gesagt. Wir wollen unserem Partner keine schlechten Gefühle machen.

Anderen gute Gefühle geben

So wie wir Mitmenschen schützen möchten, wollen wir Ihnen oft auch gute Gefühle und eine Freude bereiten. Stell dir vor, du bist auf einer ziemlich langweiligen Party und wirst hinterher von der Gastgeberin gefragt, wie es dir gefallen hat. Bestimmt wirst du ein Kompliment über die Party machen, oder? Auch die Nachbarin mit der grauenhaften Frisur wirst du nicht über deinen persönlichen Eindruck aufklären, wenn sie stolz vom Friseur kommt und fragt wie du den Haarschnitt findest. Vermutlich sagst du irgendetwas Ausweichendes oder stimmst ihr zu, dass es gut aussähe.

Eigene Privatsphäre schützen

Eigentlich sollte das Privatleben die Partnerschaft beinhalten. Manchmal ist das jedoch nicht so. Wer sich vom Partner vereinnahmt fühlt, neigt dazu, sich Inseln zu erschaffen, auf die der Partner nicht folgen kann. Um diese Inseln zu schützen, wird der Weg zu ihnen durch eine Nebelwand aus Lügen unsichtbar gemacht.

Sich selbst belügen

Nicht jede Lüge ist nach außen gerichtet. Sich selbst anzulügen bedeutet, dass die Selbstwahrnehmung optimiert wird und man Facetten des eigenen Verhaltens nicht wahrhaben will. Tests bestätigen, dass viele Menschen die Wirkung ihrer Kompetenz auf andere erheblich überschätzen. So fällt in Autobiografien mitunter auf, dass die eigene Geschichte beschönigt, Erfolge und Heldentaten erhöht, jedoch fatale Fehler und Missgeschicke heruntergespielt werden.
In der Paartherapie unterschätzen Menschen oft die Selbstwirksamkeit, mit der sie ihre Partnerschaft positiv beeinflussen können. Hilflosigkeit, Beschämung und das Gefühl, versagt zu haben, lähmen die Möglichkeit, die eigene Wirksamkeit realistisch einzuschätzen.
Selbstbetrug mag angebracht sein, um verstörende Situationen erträglicher zu machen.
Auch Schutzlügen sich selbst gegenüber, insbesondere im Zusammenhang mit Schuld, verhindern, dass du an dir selbst verzweifelst. Du bist vielleicht in etwas Schlimmes hineingeraten und möchtest es einfach nicht wahrhaben. Das kann sich so weit ausdehnen, dass du eine Realitätsgewissheit entwickelst.
Doch gibt es auch Selbstlügen, die du selber bewusst als Schwindel erkennst. Hier ist immer eine innere Stimme da, die an die Wahrheit erinnert.

Fazit:

Die Frage, „warum lügen Partner sich an“, hat die unterschiedlichsten Antworten. Einerseits lügen Partner unbewusst, weil sie dachten, etwas richtig verstanden zu haben oder richtig zu wissen. Andererseits lügen Partner sich an, weil sie dem Anderen nicht wehtun wollen, die Partnerschaft schützen wollen, höflich sind oder sich in die Enge getrieben fühlen, Schaden abwenden, Macht ausüben oder einfach nur ihre Ruhe haben wollen. In unserer Kultur ist es gebilligt, selbst zu lügen, aber nicht gebilligt, angelogen zu werden.

Wie geht es weiter?

  • Überlege bitte, welche Gründe  dein Partner haben könnte. Versuche, dich in seine Lage zu versetzen, um ihn besser verstehen zu können.
  • In der weiteren Lektion geht es um das Vertrauen.